Gert Caden beabsichtigte, ein kleines Anleitungsbuch für Kunststudenten zu verfassen. Das „Kleine pädagogische Skizzenbuch“ wurde jedoch zu Lebzeiten von Gert Caden nie veröffentlicht. Ich denke, dass diese „Miniaturen“, auch wenn sie aus dem vorigen Jahrhundert stammen, für einige von Interesse sein könnten. Auch geben sie einen Einblick in die Arbeitsweise von Gert Caden Darum hier ein erster Ausschnitt. Obige Zeichnung stammt übrigens aus diesem Projektentwurf.
Lektion 1: Kontur und Ausdruck
- Funktion des Künstlers: beobachten, Natur studieren. Rohmaterial sammeln. Viel Zeit darauf verwenden, mit den Dingen Kontakt aufzunehmen.
Zeichnen lernen = korrekt sehen lernen; Gebrauch aller 5 Sinne auf einmal. - Der TASTSINN: Aber Sehen ist nicht genug. Es ist notwendig, einen frischen, lebhaften physischen Kontakt mit dem Objekt, dass man zeichnet zu haben.
Berühren vieler Gegenstände mit gesdchlossenen Augen. Verbindung von Sehen und fühlen = Tasten.
Übung 1: Konturzeichnen
Material: Bleistift 3B mit feiner Spitze; cremefarbenes Manilapackpapier; keinen Radiergummi benutzen! Papier festklemmen.
Fixieren. Bleistift an einen Punkt setzen. Überzeugt sein, dass man das Modell berührt. Ohne auf das Papier zu seehn, immer auf das Modell. Außenkonturen ebenso wie Innenkonturen. Die absolute Überzeugung entwickeln, dass man das Modell berührt.
Diese Übung: langsam, suchend, sensitiv! Nimm dir Zeit! Nicht ungeduldig und zu schnell. Eine Konturzeichnung kann nie beendet sein. Ein langsames, genaues, hartnäckiges Zeichnen.
Kümmere dich nicht um die richtigen Proportionen der Gestalt. Das kommt später von selbst. Kümmere dich nicht um den Schatten. Dein Stift bewegt sich nicht an der Kante des Schattens, sondern an der Kante einer Form.
Zeichne: die nächstbeste Landschaft, einen Baumstamm, eine Blume, Steine, eine Frucht, einen alten Schuh, deine Hand, deinen Fuß, ein Stück Material … Nicht das Subjekt, sondern die ERFAHRUNG ist wichtig.
Kontur und Außenlinie. Außenlinie 2-dimensional, Kontur hat 3-dimensionale Qualität. Sie zeigt die Dicke, Länge und Weite einer Form.
Zwei Typen des Zeichnens
- hartnäckig, unaufhörlich
- wild, schnell
Konturzeichnung: Hartnäckig, langsam. In langsamen Studien wird man ein Verständnis der Strucktur des Modells entwickeln – etwas Fundamentaleres als Anatomiestudium.
Ausdruckszeichnung: Wild, in kurzer Zeit. In schnellen Studien wird man die Funktion, die Aktion, das Leben, den Ausdruck erkennen.
Schnell-Studien lockern. Die Ausdrucksstudie ist ein Fühler, den man ausstreckt und der zum Wissen führt.
Übung 2: Ausdruckzeichnung
Material: Bleistift 3B oder 4B mit stupfer dicker Spitze; cremefarbenes Manilapackpapier; kleiner als für Konturzeichnung. Benutze beide Seiten, aber je nur für eine Zeichnung.
Modell nimmt für eine Minute oder weniger eine sehr aktive Stellung ein. Es wechselt ohne Pause von einer Stellung zur anderen.
Dasselbe kann man üben an Stellen in der Stadt, wo viele Menschen sind.
Der Stift schwingt über das Papier, getrieben von dem Gefühl der BEWEGUNG. Zeichne schnell, fortgesetzt, in unaufhörlicher Linie, von oben nach unten und unten nach oben, rings herum, ohne den Stift vom Papier zu nehmen. Lasse den Stift „herumstreifen“ und erfasse den AUSDRUCK.
DU SOLLST NICHT ZEICHNEN, WIE DIE SACHE AUSSIEHT, NOCH WAS ES IST, SONDERN WAS ES TUT!
Sause durch das Zentrum der Gestalt hin und her oder auch aus dem Umriss der Figur heraus. Das macht nichts. Es ist nur die Aktion. Du musst entdecken und fühlen, dass der Ausdruck dynamisch, in Bewegung, nicht statisch ist.
AUSDRUCK IST BEWEGUNG IM RAUM. Du musst die Bewegung in deinem eigenen Körper fühlen. Bei der Zeichnung des Ausdrucks fühlst du die Bewegung der ganzen Form in deinem ganzen Körper. Du musst das Ganze auf einmal in Gang halten, das GANZE ALS EINE EINHEIT VON ENERGIE – ALS EINE EINHEIT VON BEWEGUNG SEHEN UND FÜHLEN. Unterbewußtsein lockern!
Zeichne: stehende, sitzende, knieende, liegende, lehnende Figuren von vorn, hinten, von der Seite (natürliche Stellungen!). Sehr gebeugte und verdrehte (verkürzte) Stellungen.
Diese Kritzel-Zeichnungen sind als reine Übungen zu betrachten. Mache Hunderte von ihnen. Aber sie vermitteln dir ein Verstehen und eine KRAFT, die ihren Weg in deine ganze Arbeit finden wird.