Neuanfang in Deutschland – Sowjetische Besatzungszone, dann DDR

Im März 1948 gelangt Gert Caden nach Berlin, wo er von Walter Janka in Empfang genommen wird. Es folgt ein Treffen in der Zentrale der SED mit: „Wilhelm Koenen, Anton Ackermann, Paul Merker, Alexander Abusch, Walter Janka, Hans Schrecker. – Wilhelm Koenen wandert Arm in Arm mit Gert Caden im Gang auf und ab, um ihn zu überzeugen nach Dresden zu kommen. Dresden ist 1948 total zerstört, macht einen trostlosen Eindruck. Im Land Sachsen […] fehlt es an Kulturfunktionären und Künstlern mit Partei-Erfahrung. – Ein schwerer Entschluss […] Gert Caden sagt zu, lehnt aber die Übernahme des Rektorats der Hochschule für Bildende Künste ab, mit der Begründung, dass er nach 10 Jahren Auslands-Aufenthalt erst Orientierung in den neuen Verhältnissen finden muss.“ (Zu jener Zeit ist ein Freund aus vergangenen Tagen Direktor: der Bauhauslehrer und holländische Architekt Mart Stam. Kann sein, dass Gert Caden auch deshalb das Angebot ausschlägt.) „Ich übernehme im Oktober 1948 die Auftragskommission für Künstlerische Arbeiten im Lande Sachsen. Die Zeit der Sitzungen beginnt.“ Die Mitgliedschaft in der SED steht für das KPD-Mitglied Gert Caden nie infrage, zumal die Mitstreiter aus der Illegalität und Emigration wie Paul Merker, Ludwig Renn, Martin Schmidt, Friedrich Wolf u. a. alle dabei sind. Der Aufbau einer menschlicheren Gesellschaft steht in Aussicht. Doch die Welt ringsum – West wie Ost – liegt vorerst in Schutt und Trümmern.

Gert Caden macht sich im Juni ‘48 mit den Malern der Dresdner Akademie Hans Grundig, Eugen Hoffmann, Wilhelm Lachnit bekannt. „Hans Grundig mir gegenüber recht reserviert.“ Er bekommt in der vom Krieg noch stark zerstörten Hochschule für Bildende Künste ein Atelier, das er bis zu seinem Tod behält. Gert Caden, Maja und Ruth mit Tochter Cathérine beziehen gemeinsam eine Wohnung in der Oskar-Pletsch-Straße 14 auf dem Weißen Hirsch in Dresden. Im gleichen Stadtteil wohnt – mittlerweile 86-jährig – Vater Richard Kaden. Gert besucht ihn im März erstmals nach Jahrzehnten und trifft ihn am 26. September in schlechter Verfassung auf der Straße wieder. Am 30. September 1948 stirbt der Vater, nachdem Gert ihn am Tag zuvor noch einmal sprechen konnte.

Im Oktober ‘48 findet eine Ausstellung der Cuba-Bilder im Kulturbund statt. Kurz danach wird Gert Caden die Leitung der II. Deutschen Kunstausstellung übertragen. Es sollte eine gesamtdeutsche Schau der besten Künstler werden. In diesem Zusammenhang entsteht – inspiriert von den Mexikanern Ribera, Siqueros und Orozco – die Idee, Wandbilder mit Bezug zur wirtschaftlichen Aufbauarbeit nach dem Krieg zu gestalten. Künstlerkollektive aus Berlin, Chemnitz, Meissen und Dresden erschaffen mit viel Begeisterung 10 Wandbilder. Es ist ein Beginn, und es stehen nur drei Monate zur Verfügung. Doch die Beurteilung durch die staatlichen Funktionäre ist vernichtend. Gert Caden schreibt in seinen Aufzeichnungen:

„Die Ausstellung wurde am 16. September 1949 im Beisein hoher Regierungs- und Parteistellen feierlich eröffnet u. begraben. Die Auswirkung der Problemstellung ,Realismus – Formalismus‘ lagerte sich wie eine schwere Wolke belastend auf die künstlerische Gestaltung in allen Sparten: Malerei – Plastik – Kunsthandwerk – Musik – Theater – Architektur – Ballett – Tanz u.s.w. […] Der politische Charakter dieser Wertungen trat von Anfang an krass in Erscheinung und lief parallel mit der aussen- und innenpolitischen weiteren deutschen Entwicklung: Spaltung Deutschlands, West-Deutschland, Ost-Deutschland, Währungsreform und Währungs-Trennung. […] Von 1950 ab nahm ich an den Sitzungen der Provisorischen Volkskammer in Berlin teil. Der paradoxe Zufall wollte es, dass mir am Tage der 1. Sitzung und denkwürdigen Eröffnung der provisorischen Volkskammer und Ausrufung der Deutschen Demokratischen Republik durch den Landesleiter der Partei für das Land Sachsen Wilhelm Koenen auf dem Thälmann-Platz in Berlin vor Beginn des großen Fackelzugs Unter den Linden (16 Jahre nach dem Fackelzug der nazistischen Machtergreifung!) mitgeteilt wurde, dass mein in Cuba gemaltes Bild ,Solidarität der Rassen‘ wegen Formalismus abgelehnt worden sei. [s. Künstler-Vita 1948–60] Diese Nachricht […] war ein Symptom, das mich in den folgenden Jahren sehr beschäftigen sollte, insbesondere den Jahren 1950–53, der großen Wende nach dem Tode Stalins. Die problematische Fragestellung: ,Realismus – Formalismus‘ beeinflusste natürlich auch in starker Weise meine Tätigkeit als Leiter der Auftragskommission für Künstlerische Arbeit im Lande Sachsen und erschwerte die Arbeit in der Entwicklung des Verbandes Bildender Künstler, dessen Bezirksleitung ich damals angehörte. Politische Persönlichkeiten tauchten auf wie Kometen, stiegen auf, rapide wie Feuerwerkskörper, leuchteten und stürzten ab ins Dunkel, ihr Licht verlosch wie ihr Name. –

Mein Atelier auf der Brühlschen Terrasse liegt neben dem des Bildhauers Eugen Hoffmann, der in den nächsten Jahren bis 1955 einer zunehmenden Depression verfällt und sich in tragischer Form dem ,König Alkohol‘ ergibt. […] Die Tage vergehen in Sitzungen, Sitzungen, Sitzungen und Reisen innerhalb des Landes Sachsen […] . Am 19. Februar [1951 d. A.] feiern wir lärmend den 50. Geburtstag von Hans Grundig in seinem großen Atelier auf der Brühlschen Terrasse. Anwesend: Hellberg (Intendant der Staatstheater), Holzhauer (Volksbildungsminister), Lohagen (1. Parteisekretär, der bald darauf abgesetzt wird und verschwindet), Schlieps (vom Sekretariat, der sich das Leben nimmt). In diesen Wochen bin ich mit der Auftrags-Kommission unterwegs, eine große Anzahl Bilder u. Grafiken für das Heim des Förderungs-Ausschusses in Bad Elster anzukaufen und zusammenzustellen. […] In all diesen Entscheidungen spielt die Fragestellung: ,Realismus – Formalismus‘ eine entscheidende ,lebensgefährliche‘ Rolle. Ich beginne zu fühlen, dass mein Stern sinkt und hinter meinem Rücken starke Kräfte am Werk sind, sich zu konzentrieren, um meinen Sturz als ,Begünstiger des Formalismus‘ herbeizuführen.“ Diese zeitnah (1959) aufgezeichneten, privaten Notizen werfen ein bezeichnendes Licht auf die Gemütslage und innere Zerissenheit des Malers und Kommunisten. Er behält zwar seinen kritischen Geist bis zuletzt, ordnet sich aber (jedenfalls öffentlich) der „Parteidisziplin“ unter. („Einsicht in die Notwendigkeit“ und „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ sind oft zitierte Sprüche – wohl vor allem zur Selbst-Disziplinierung.) Seine Auffassungen über moderne Malerei findet sich in einem Aufsatz „Zum besseren Verständnis moderner Malerei“ wieder, welcher die Grundlage für einen Vortrag bildete, den Gert Caden 1946 vor dem „Freundeskreis Alexander von Humboldt“ hielt. Dieses Verständnis steht im Gegensatz zu den althergebrachten Vorstellungen der Parteiführung. Im Juli/August 1951 finden die lange erwarteten Parteiüberprüfungen statt. Ludwig Renn und Martin Schmidt geben Bürgschaften ab, lange detaillierte Erklärungen zur Emigration wurden verlangt usw. Am Ende kommt Gert Caden ungeschoren davon.

Im Sommer 1949 lernt Gert Caden die Schauspielschülerin Margot Meyer kennen. Die Beziehung wird intensiver in den nächsten Monaten und Jahren und dauerte fort. 1950 kommt Sohn André und 1953 Stephan (der diese Web-Site verantwortet) zur Welt. Gert Caden sah sich nie als „Familienmensch“, seine persönliche Unabhängigkeit war ihm heilig, kleinbürgerliche Vorstellungen suspekt. So lebte er seine Beziehungen stets offen und frei und machte auch keine Versprechungen. Die familiären Beziehungen liefen in etwa so: Zusammenleben mit Maja. Mit Margot Meyer, André und Stephan wurden die Wochenenden verbracht. Ilse und Tochter Vera traf er gelegentlich oder telefonierte mit ihnen. Nur zu Lalla und Sohn Herbert bestand lange Zeit kein Kontakt, bis der Zufall zu Hilfe kam: Die beiden in England lebenden Geschwister hatten voneinander keinerlei Kenntnis. Zufällig erfuhr Vera durch eine Kommilitonin von einem jungen Mann in Cambrigde mit gleichem Nachnamen. So gelangte nach einiger Zeit ein Brief nach Cambridge, der das Treffen der beiden Kadens im Jahr 1965 in die Wege leitete. Daraufhin nahm Sohn Herbert auch Briefkontakt mit seinem Vater auf. Er hat ihn erstmals 1970 in Dresden, seiner ursprünglichen Heimatstadt, besuchen können.

Gert Caden übernimmt bis 1953 viele politische, gesellschaftliche Verpflichtungen: im Landesfriedenskomitee Sachsen, Nationale Front Sachsen, Landesverband des Kulturbundes, Bezirksleitung des Verbandes Bildender Künstler (VbK). Daraus ergeben sich Sitzungen und Vortragsreisen durch ganz Sachsen. Unter 1953 ist u. a. eingetragen: „Als amtierender Vorsitzender des Bezirks-Friedensrates am 9. Juni 1953 Fahrt zum Nationalrat zur Überbringung einer Unterschriftensammlung. Unterwegs im Auto hören wir am Radio das Kommuniqué der Partei über die Änderung der Politik. Es folgt der 17. Juni und Ausnahmezustand bis 20. Juni. Viele Besprechungen mit amigos am 22.23.24.“

Was sich hinter amigos verbirgt, kann man nur vermuten. Jedenfalls ist in den persönlichen Aufzeichnungen vermerkt, dass Gert Caden zu Sonderaufgaben eingesetzt war, die bis 1968 andauerten. Hierzu finden sich in den Notizen keine näheren Angaben.

Anfang der 50er-Jahre unterhält Gert Caden regen Briefkontakt mit Friedrich Wolf, langjähriger Mitstreiter und Freund aus Zeiten des französischen Exils, mit dem ihn vieles verband – nicht zuletzt die Freundschaft mit Ruth Herrmann. Der Schriftsteller Friedrich Wolf war zu damaliger Zeit Botschafter der DDR in Polen. In seinem Arbeitszimmer hing das Bild „Cubanischer Ball“. 1953 stirbt Friedrich Wolf.

Im gleichen Jahr beziehen Gert und Maja Caden eine Wohnung auf der Goethe-Allee im Stadtteil Blasewitz, wo sie bis zum Jahr 1968 bleiben. Im November 1953 entstehen einige Landschaftsbilder während eines Aufenthalts in Karnzow, in seenreicher Umgebung nordwestlich von Berlin. Im Übrigen arbeitet Gert Caden trotz vieler Termine täglich an Staffelei, Zeichenbrett oder im Skizzenbuch, wenn mitunter auch nur zur „Fingerübung“. Zahlreiche Studienblätter geben darüber Auskunft.

Gert Caden wird 1953/54 von allen Funktionen befreit. Im Verband Bildender Künstler ist er von nun an ein einfaches Mitglied. Trotzdem arbeitet er aktiv und intensiv in diesen Gremien wie auch Kulturbund und natürlich der Partei (SED) mit. Er fährt für drei Tage zum Bauernkongress nach Görlitz. Die Kulturpolitik ist in der DDR bestrebt, die Werktätigen an Kunst heranzuführen und umgekehrt. Das Thema Landarbeiter schlägt sich in einigen Bildern von Gert Caden nieder. Ansonsten macht er viele Reisen auch in den Westen und trifft Freunde und Bekannte, so Malerkollegen Seippel, Rene Graetz, aber auch Familie v. Rinck. Gute Freunde und Kollegen wie Karl Rade, Eugen Hoffmann, Hans Grundig, Kolja Nicola, Siegfried Donndorf, Max Lingner sterben in den Jahren 1954 bis 59, was ihm einen großen Verlust bedeutet, auch weil sie in der Disskusion um „Formalismus“ an seiner Seite standen. Auf der Dresdner Bezirksausstellung 1955 im Albertinum kann Gert Caden drei Bildern ausstellen: „Kiefernzweige“, „Lausitzer Seengebiet“, „Gärtnerei“. 1954 tritt die BRD der NATO bei, 1955 wird als Antwort der Warschauer Pakt gegründet. Auf dem KPdSU-Parteitag 1956 wird zwar mit der Stalin-Ära gebrochen und (teilweise) abgerechnet, doch der Ungarn-Aufstand und die Suez-Krise finden statt, sodass von einer Entspannung zwischen Ost und West keine Rede sein kann. Der politische Druck (Formalismus) auf die Künstler nimmt nicht ab. Gert Caden reist durch die Lande trifft Leute und malt. Um seine Position als Künstler im Sozialismus zu unterfüttern, sucht er sich Beistand in der Literatur bei Ted Allan und Sydney Gordon „Arzt auf drei Kontinenten“ und György Lukàcs „Der russische Realismus in der Weltliteratur“. Er notiert aus Allen & Gordon ins Tagebuch: „Der wahre Künstler nimmt an allem teil. Er ist natürlich. Er sucht seinen eigenen Weg und hat Vertrauen in sich […] Er gibt sich nicht mit dem Schein zufrieden, sondern dringt in die Tiefe. Seine Lebenslust ist unersättlich. […] Der Künstler muss aufrütteln. Es ist seine Pflicht, die Schläfer zu wecken. […] Er ist Produkt seiner Zeit und Vorläufer der Zukunft. […] Er zwingt uns nachzudenken und zerstört vorgefasste Meinungen. In einer sterbenden Welt, die sich an das Alte klammert, predigt er die Revolution. […]“ Hierin findet er sich wieder und bestärkt. Als 1958 in Dresden die IV. Deutsche Kunstausstellung stattfindet, schreibt er: „ich bin mit einer (!) kümmerlichen Arbeit vertreten.“ Die Anerkennung erfolgt erstmal auf anderem Gebiet: Er erhält Ehrungen durch die „Goldene Nadel des Deutschen Friedensrates“ und die „Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus“. Viele Auszeichnungen werden noch folgen.

Die nächste Zeit bis zur Kuba-Krise verläuft etwas entspannter (auch dank der Gespräche zwischen Chruschtschow und Eisenhower). Der VbK löst seine SED-Organisation auf, aber damit die Künstler-Mitglieder nicht ganz zügellos bleiben, werden sie den Organisationen der Volkseigenen Betriebe angegliedert. So bekommt G. C. den VEB Vakutronik zugeteilt, eine Fabrik für Vakuumröhren (u. a. für Kernstrahlungsmessgeräte). Der Chef der Kulturkommission „hat ein feines künstlerisches Verständnis, neigt ausgesprochen zum Formalistischen.“ Man versteht sich also. Die Kollegen interessieren sich einerseits für Kunst und Atelier. Andererseits sind sie gute Gesprächspartner, die mit beiden Beinen in der Wirklichkeit stehen. Und auch als Modelle vor der Staffelei sind sie G. C. willkommen.

Unter Fidel Castro siegt die Revolution auf Kuba. Gert Caden begrüßt das Ereignis freudig und malt das Bild „Helden der cubanischen Revolution“, welches er dann direkt an die neue, revolutionäre Regierung nach Kuba sendet. Er erhält aus dem Sekretariat von Fidel Castro ein Dankesschreiben. Die Cuba-Ereignisse nehmen jetzt einen gewissen Raum ein: Artikel werden geschrieben und mit dem Bild in mehreren Zeitungen veröffentlicht. Der kubanische Freund Marinello meldet sich, eine Ausstellung in der Galerie Kunst der Zeit zeigt Cuba-Bilder. Gert Caden wird gebeten, die Geschichte des „Komitees Deutscher Antifaschisten“ auf Kuba zu dokumentieren. Doch: „Anfang März erhalte ich eine ablehnende Antwort vom Kongress-Verlag, über die ich nicht böse bin, denn die Menge der Arbeit hätte in keinem Verhältnis zum Honorar gestanden.“ International ist viel in Bewegung: Raketenstationierung auf Kuba, bemannte Weltraumflüge, Mauerbau in Berlin. In dieser Zeit bemühen sich die Humboldt-Universität zu Berlin und das Deutsche Museum für Geschichte um Zeitzeugen des „Komitees Deutscher Antifaschisten“ und des „Freundeskreises Alexander von Humboldt“. Beide Institutionen kaufen Bilder und übernehmen Material. In Berlin findet eine Cuba-Ausstellung unter seiner Beteiligung statt. Nicht alles läuft nach Wunsch: Alle drei Bilder, die zur V. Deutschen Kunstausstellung 1962 eingereicht waren, werden abgelehnt. Er fertigt nun eine Serie Lithos, vor allem Porträts – mit Feingefühl erfasste Menschen, keine „Arbeiterhelden“.

Gert Caden hat die Idee, ein „Kleines pädagogisches Skizzenbuch“ herauszubringen. Es entstehen erste Texte und Zeichnungen. Das Projekt wird jedoch durch den Verlag „beerdigt“. Für eine im Juli geplante Westreise gibt es erstmals keine Genehmigung. Das neue Bild einer Zweiergruppe „Cubanische Tänzer“ entsteht, außerdem ein Gemälde mit Bezug zum Vietnamkrieg. Zur 6. Deutschen Kunstausstellung wird das Vietnam-Bild angenommen, das Cuba-Bild aussortiert. Es kommt die Zeit der Studentenrevolten im Westen, des Prager Frühlings im Osten. Notiz: „21.8. CSSR-Nacht. Erfahre vom Einmarsch durch Frau Weinholz. Willy Illmer †. Wolf-Ausstellung [Willy Wolff d. A.] verboten und Diskussion. Auch über Ereignisse in der CSSR.“ Die Einträge werden immer schmallippiger. 1968 wechselten Gert und Maja Caden ihre Wohnung zum Altmarkt im Dresdener Zentrum. Von dieser Wohnung aus konnten Gert Caden und Sohn Stephan im Oktober den „Zapfenstreich“ miterleben, der anlässlich des Abzuges der Kampfeinheiten der DDR aus der Grenzregion zur CSSR abgehalten wurde. Gert Caden war entsetzt über die vielen braunen Uniformen, die denen der SA ziemlich ähnlich waren. Es handelte sich um die „Kampfgruppen“ (bewaffnete Reserve aus Angestellten der Betriebe).

Gert Caden stürzt sich in die Arbeit, besonders Aquarelle entstehen, aber auch der neueste Versuch zu „Cubanische Tänzer“ – ein großes Ölbild diesmal. Eine Personalausstellung im Juni 1971 in der Galerie Kunst der Zeit findet gute Resonanz (… mehr). Ein Dresden-Bild, an den klassischen „Canaletto-Blick“ angelehnt, aber verfremdet, wird zur Bezirkskunstausstellung gezeigt und später vom Rat des Bezirks angekauft.

Im Juli 1970 stirbt Lalla, Mutter von Sohn Herbert, welcher im September des gleichen Jahres erstmals Gert Caden besuchen kann. Herbert ist auch ein begabter Maler, studierte Architektur und Malerei, schloss sich dann dem Benediktiner-Orden als Mönch an. Bezeichnend für die Situation damals war, dass Gert die Geschwister gern miteinander bekannt gemacht hätte (die „Engländer“ kannten sich mittlerweile). Margot Meyer, Mutter von Andre und Stephan, befürchtete jedoch negative Folgen für die berufliche Entwicklung ihrer Söhne in der DDR aufgrund der Westkontakte. So kam es, dass eine solche Begegnung erstmals in den 1980er-Jahren stattfand.

1973 werden auf der Biennale in Rostock vier Arbeiten von Gert Caden ausgestellt. Es geht aufwärts. „… Kiesslings Arbeit: Alemania Libre in 2 Bänden erscheint [W. Kießling, Alemania Libre in Mexiko, Akademie-Verlag Berlin 1974]. Ruth besucht uns. Eröffnung der 9. Bezirksausstellung mit Bild: Cubanischer Fruchtstand, hängt gut.“ Die Idee zum Bild „Meine Jugend“, was später den Titel „Jahrgang 1891“ erhält, beginnt Gestalt anzunehmen (… s. Künstler-Vita 1960–90). Es gelangt schließlich zur 8. Kunstausstellung der DDR und wird zum Erfolg. Am 25.9.1978 erhält Gert Caden den „Nationalpreis der DDR“.

Inzwischen 87 Jahre alt, hat er von vielen Weggefährten Abschied nehmen müssen: Bernhard Kretzschmar (1972), Paul Merker, Erich Fraaß, Ernst Hassebrauck, René Graetz, Schwägerin Dora Mosse (1974), Max Ernst, Eva Schulze Knabe, Heinz Lohmar (1975), Juan Marinello, Lea Grundig (1977), Ludwig Renn (1979). Das waren alles Freunde und Menschen, mit denen Gert Caden in enger Beziehung stand. Aber am schwersten traf es ihn, als sich im Mai 1979 herausstellte, dass Maja an Kehlkopfkrebs erkrankt war. Am 11. April 1980 stirbt Maja Caden. Die Trauer ist tief und dauert Wochen, Monate an. Nachts wacht er auf, macht Zeichnungen, liest, schaut alte Fotos an, notiert Gedanken und Zitate aus Büchern: „1939–1981…denn echtes Glücksgefühl war in jenen Jahren unter dem Eindruck der bedrohlich aufsteigenden Gewitterwolken im Schwinden begriffen…“ und: „Doch es hat einmal eine Zeit gegeben, da ich einen ERSATZ zu finden trachtete, gelungen ist es mir nicht…“

Durch viel Arbeit, neue Freunde und Freundinnen fasst er wieder Fuß, wird aktiv. Er nimmt am Leben anderer immer intensiv Anteil. So notiert er im März 1981: „Anruf von Heinz [Geggel]. Eine Freundschaft, die mich sehr beeindruckt hat. Am gleichen Tag: Anruf von Hilde Schweizer über das Schicksal der Familie Becker (Fischgeschäft in Blasewitz)(!). Und Brief von Helga Brandt, die schreibt: ,Schreibe mir bitte recht oft‘ … überall einsame Menschen. Ich habe sie noch abends angerufen.“ Im hohen Alter, in dem er in den 80er-Jahren ist, lässt er es sich im Kreise einer Schar von Freunden gutgehen. Sie feiern das Leben mit schönen Ausflügen und Gesprächen. Denn eine seiner Devisen war „Leben und leben lassen“.

Aufschlussreich die Eintragung vom September ’81: „Notiz aus N.N. Jakowlew: Franklin D. Roosevelt: ,Die Psychologie der Massen ist derart, dass diese aus einer allgemeinen menschlichen Schwäche heraus die beständige Wiederholung der höchsten Ideale nicht über einen längeren Zeitraum hindurch ertragen können. … Die Menschen werden es müde, jeden Tag in den Zeitungsüberschriften ein und denselben Namen zu sehen und jede Nacht immer die gleiche Stimme im Radio zu hören. … dennoch wird bald die Zeit für eine neuerliche Stimulierung der einheitlichen amerikanischen Tatkraft herankommen.‘ (1935 Roosevelt an den Biographen Wilsons)“. Wurden hier Parallelen zum Leben in der DDR gesehen? Gert Caden glaubte, für sich einen Weg aus dem sozialen Dilemma der bisherigen Gesellschaftsordnungen in den Lehren des Marxismus gefunden zu haben. Aber er zweifelte auch, ob das mit der menschlichen Psyche in Einklang zu bringen ist. Im Grunde strebte er selbst immer nach Befreiung von inneren und äußeren Zwängen. Für die jungen Leute, die in den 80er-Jahren unter seinem Fenster für ihre Ausreiserechte protestierten (Altmarkt, neben der Kreuzkirche), zeigte er zunehmend Verständnis.

Im Dezember 1983 muss Gert Caden wieder schmerzlichen Abschied nehmen: von Ruth Herrmann, der über viele Jahrzehnte sehr verbundenen Weggefährtin. Im Jahr 1989 war er noch einmal bei der 12. Kunstausstellung in Dresden mit einem schönen, unpolitischen Bild „nature morte“ vertreten. Die Wende-Zeit 1989/90, als die Menschen in der DDR das Zwangs-System des Realen Sozialismus abwarfen, hat ihn nicht allzu sehr erschüttert. Er hat kommen sehen, dass zur ersten demokratischen Wahl in Ostdeutschland die Konservativen siegen. Sein Kommentar Zeitzeugen gegenüber: „Nun geht der Sch… von vorne los.“ Am 9. September 1990 stirbt Gert Caden im Alter von 99 Jahren.