1907–1918 Kadetten-Corps, Militärdienst

Vor Ostern findet die Aufnahmeprüfung für das Kadetten-Corps auf der Marien-Allee Dresden statt. Danach wird mit einem österlichen Rundgang Abschied von Leipzig genommen.

Kadett Fürstenau weist Gert Caden in die Örtlichkeiten und zugeteilte Stube ein. Die Stube wird von 6–8 Kadetten belegt und teilt sich in Schlaf- und Wohnbereich. Schlafsäle sind unbeheizt, jeder hat einen kleinen Waschtisch mit Krug und Becken sowie Spiegel. Der Gert zugewiesene „Erzieher“ ist ein Leutnant, „den wir hassen“ und der „drei Jahre später aus dem Regiment fliegt“. Gert beginnt sich nach anfänglichem Heimweh einzugewöhnen – „schwer, doch stetig“. Wecken, Antreten, Melden, Marsch zum Essen, vormittags Unterricht, nachmittags Turnen, Fechten, Exerzieren, abends Freizeit im Park oder Stube. Als einzige Zeitung ist das „Königliche Journal“ erlaubt. Rauchen ist verboten.

Auch hier sind die Hierarchien zwischen den Kadetten spürbar – teils unbewusst, teils bewusst. Selbst bei den Adligen wird differenziert zwischen denen, deren Eltern am Hofe dienen und jenen, deren Väter im Garderegiment sind. Dann kommen die Offizierssöhne, unterschieden nach Truppenteilen.

1908 tritt Gert ins Königliche Pagen-Corps ein. Er nimmt als Page an Festlichkeiten wie Hofbälle, Empfänge, Antrittsbesuche, z. B. des Königs Alfons von Spanien, teil. Die Pagen tragen weißen Frack, Kniehosen und Schnallenschuhe, gepudertes Haar, Degen und Dreispitz. „Das Schwerste war das Tragen der langen Hof-Schleppen aus Brokat auf einem Arm, trepp-auf, trepp-ab.“

Vor Ostern 1909 besteht Gert Caden das Fähnrich-Examen als Bester. Er verlässt das Corps mit Designation zum Regiment 103 nach Bautzen. Gert Caden wird der 5. Kompagnie zugeteilt, die in der Alten Kaserne (von G. Semper erbaut) untergebracht ist. Maßgebliche Beziehungspersonen aus dieser Zeit verlieren im kommenden Krieg ihr Leben: „Kompagnie-Chef Hauptmann Lücke (gefallen im 1. Weltkrieg), Kompagnie-Offiziere: Oberleutnant Wuttig (gefallen im 1. Weltkrieg) und Leutnant Neumann (als Flieger 1914 gemeinsam mit Fürstenau abgestürzt ).“

1910 geht es nach Anklam zur Kriegsschule, die Gert Caden mit dem Offiziers-Examen abschließt. Gert Caden erlangte einiges Ansehen durch seine Reitkünste – er war Têten-Reiter (Spitzen-Reiter). 1911 kehrt er nach Bautzen zurück, wo er als Regiments-Offizier die Rekrutenausbildung übernimmt. Dienst, Kasernenleben und Provinzstadt sind trübselig. Einziger Lichtblick ist das Haus des Leutnants von Löwis, der zuvor Kunstmaler war und auch bald wieder wird (s. Künstler-Vita).

Wenn der Dienst es erlaubt, unternimmt Gert Reisen, um kulturelle Anregungen zu erhalten – so nach Prag und zu seinem Bruder Helmuth nach München, der dort Kunstgeschichte studiert. Sie tauchen für ein paar Tage in die Boheme-Szene Münchens ein. Ab und zu fährt er nach Dresden und genießt das internationale Leben im Stadtteil Dresden-Weißer Hirsch, wo viele ausländische Kurgäste das Lahmann-Sanatorium besuchen. Eine Sommerliebe entspinnt sich, Opernaufführungen werden gemeinsam besucht, und sogar die Aufgabe des Berufs wird in Erwägung gezogen. Doch die Bindungen an die familiären Erwartungen sind noch zu stark. Es folgt eine militärische Weiterbildung in Berlin, wo auch „mit großer Genauigkeit das internationale Nachtleben studiert und ein Civil-Anzug zugelegt wird, der in der Provinz allgemeines Aufsehen erregt“. Eine gewisse Eitelkeit und der Hang, von der Norm abzuweichen, sind bereits angelegt. Eine plötzliche Krankheit unterbricht 1914 vorerst den weiteren Dienst. Während des Klinikaufenthalts wird begonnen Tagebuch zu führen. „Ich gedachte, mich vielseitig auszubilden, voller Durst nach Leben, nach voller Entfaltung und höchster Steigerung der Persönlichkeit.“ Zur weiteren Genesung kehrt Gert im Juni in die elterliche Wohnung zurück. Vater Richard Kaden war inzwischen Generalmajor und Kommandeur der 48. Brigade in Leipzig. Auf der Rückkehr von einem Spaziergang nach Bienitz hören Vater und Sohn in der Straßenbahn von der Mobilmachung Russlands. Daraufhin meldet sich Gert Caden bei seinem Regiment in Bautzen als gesund zurück.

Erster Weltkrieg

Am 1. August erfolgt die deutsche Mobilmachung. Gert Caden wird Zugführer eines selbständigen Maschinengewehrzuges. Im August 1914 kommt es im Hochwald der Vogesen bei Schirrgut zu ersten Gefechten gegen französische Alpenjäger. Es gibt starke Verluste des Bataillons, das an Waldgefechte nicht gewöhnt ist. Die Division zieht sich zurück. Der deutsche General v. Bodenhausen erschießt sich – „1. Eindruck des soeben erst begonnenen Krieges.“ Am 7.9.1914 fällt sein Bruder Helmuth bei Le Rhin, nahe der Stellung von Gert. Er nimmt am Grab des Bruders schmerzerfüllt Abschied: „2. Eindruck des soeben begonnenen Krieges.“ Gert Caden kommt mit seinem MG-Zug in heftige Gefechte bei Badonviller und erlebt wochenlanges Haubitzenfeuer bis der Zug nach Thionville verlegt wird. Hier zerstört starkes Artilleriefeuer das Quartier, sodass im Wald, 200 m hinter der Linie, Blockhäuser errichtet werden. Im Herbst 1914 zieht sich die gesamte 19. Ersatz-Division zurück und nimmt Winterstellung am Fuße der Vogesen. Der Stellungskrieg beginnt. Nach vielen Monaten an der Westfront wird Gert Caden nach Großstrelitz abberufen. Zuvor verlebte er noch ein paar Tage als Zivilist auf dem Weißen Hirsch in Dresden. Dort erhält er die Nachricht, dass der ältere Bruder Hans gefallen ist – gerade an Gerts 25. Geburtstag. Ein paar Monate scheidet Gert Caden ganz aus dem Militärdienst aus. Er beginnt in Donaueschingen einen technischen Kurs (Maschinenkunde, Wärmelehre, Elektrotechnik, Technisches Zeichnen etc.). „Ich komme zum ersten Mal mit dem ABC der Industrie in Berührung.“ Und er erlebt die Donaueschinger Musikfestspiele, in deren Mittelpunkt der junge Komponist Paul Hindemith steht. Er notiert: „Das Jahr 1916 sorgte für vielfältige Eindrücke, Erweiterung des Gesichtskreises und eine inneren Loslösung und Wende.“ Trotzdem meldet sich Gert Caden nach Abschluss seiner Studien in Donaueschingen wieder als Kriegsfreiwilliger beim Ulanen-Regiment 21. Er verbleibt drei Monate bei der 8. Kavallerie-Division an der Düna in Kurland. Dann wird er an die Verdun-Front als MG-Offizier beim Regiment 245 abberufen, das alsbald schwerem Artilleriefeuer ausgesetzt ist. Im Oktober 1917 führt Gert Caden eine militärische Unternehmung, wofür ihm das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen und er zum Oberleutnant befördert wird. Nach einem Kurzurlaub kehrt Gert Caden zurück zur „berüchtigten Höhe 307“. „… nichts als verbrannte Erde, tiefe Trichter an tiefe Trichter, in denen ein Pferd versinken kann. Das ganze trostlose, sinnlose Grauen des Krieges liegt offen zutage.“ Während eines Lazarettaufenthalts stößt Gert Caden auf die Kunstgeschichte von Fritz Burger, die ihn in einen „Zustand der Begeisterung und produktiven Erregung versetzt“. Er vermag nun, „hinter die Kulissen zu schauen“ und erhält neue Einsichten in die moderne Kunst. Doch ein Brief des Regimentskommandeurs bittet um schnellste Rückkehr zur Truppe. Am 8. August kommt es zu einem schweren Angriff. „Die Avre-Schlacht beginnt, der Auftakt zur Katastrophe der Deutschen Armee. Binnen weniger Minuten sind wir im Keller verschüttet, graben uns heraus, und ich beziehe meinen Bataillons-Gefechtsstand im Freien hinter einer kleinen Anhöhe.“ Die Amerikaner sind bei Nebel über die Avre gegangen und greifen mit Panzern an. Die Infanterie zieht sich im Laufschritt zurück. „Ludendorff erhält (wohl zum 1.mal) einen ungeschminkten Bericht. […] Ich fahre im September zurück, Oktober in Bad Kissingen und erlebe die November-Revolution beim Kraftfahr-Bataillon 12 in Kötschenbroda bei Dresden.“

November-Revolution 1918

„Die Revolutionsnacht 7./8. November bin ich zusammen mit Heller, den ich in Kissingen kennen lernte, einem jungen Juden aus reichem Dresdner Hause (Kraftfahr-Offizier, lange Zeit bei der Okkupations-Armee in der Ukraine). Schon am späten Nachmittag fahren Last-Autos mit singenden Matrosen und Soldaten mit Armbinden durch die Prager Strasse. Die Atmosphäre wird bei beginnender Dunkelheit immer gespannter und erregter. Heller und ich sind abends in Uniform in der Oper. Als wir auf den Theater-Platz treten, hören wir, dass den Offizieren am Hauptbahnhof die Achselstücke abgeschnitten und die Degen abgenommen, die schwarz-weiss-roten Kokarden von den Mützen entfernt werden. Wir nehmen ein vorüberfahrendes Auto, fahren in die Villa von Hellers und ziehen uns Civil an. Den ganzen nächsten Tag verbringe ich in Dresden auf der Strasse und suche mir ein genaues Bild zu machen. Innerlich begrüsse ich von ganzem Herzen diesen Zusammenbruch, den Schluss dieses wahnsinnigen Krieges als den Beginn eines neuen Lebens, einer gesellschaftlichen Wende, die meinen inneren – aber noch unklaren Bedürfnissen entspricht. (Ich sehe meinen zukünftigen Weg klarer vor mir, meinen (heimlichen) Wunsch, Maler zu werden, der Erfüllung näher gerückt.)“